Der Flug: Früher war fast alles schlechter

14.12.2019

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Der Flug - ein Katzensprung von 13.000 Kilometern

Trotz Dröhnung gut geschlafen

Am Flughafen hatten sie Nacktscanner in Betrieb genommen. Wir stellten uns darunter eine neue Art des Sehens und gesehen Werdens vor. In der Warteschlange malten wir uns aus, was uns auf dem Monitor geboten würde. Jung und Alt, Dick und Dünn, Sportlich und Schlaff, alles war vertreten, und vielleicht war eine Nacktaufnahme von uns ja die Gelegenheit, in eine Talkrunde mit Günter Jauch eingeladen zu werden: „Nacktscanner – Peepshow für Spanner oder Aus für Terroristen?“. Doch man sah natürlich nicht das Geringste. Dafür dauerten die Kontrollen erheblich länger, denn die Nacktscanner stuften beinahe jede Frau als potenzielle Terroristin ein. Auch Anke wurde herausgewinkt. Offenbar verfügt der weibliche Körper über mehr terrorismusverdächtige Ausbeulungen als der männliche.

 

Der Flug startete um zehn Uhr abends. Unser Sitz am Notausgang gab uns die versprochene Beinfreiheit. Dafür saßen wir vor den Toiletten und waren ständig von Menschen umringt, die ungeduldig auf Erlösung warteten. Wir schliefen dennoch schnell ein und träumten von Sommer, Palmen, Sonnenschein, was kann schöner sein. Müde, wie wir waren, wachten wir trotz des Dröhnens der Turbinen erst nach Stunden wieder auf.

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Wir träumten von Sommer, Palmen, Sonnenschein

Zwischenlandung in Singapur

Die graziösen Singapurer Stewardessen waren in eine Art Kimono eingewickelt. Das war hübsch anzusehen, stand aber in bedauernswertem Kontrast zu der auf Langstreckenflügen üblichen Schlotze, die sie uns zum Abendessen servierten. Vermutlich prüft das Bordpersonal aller Fluggesellschaften dieser Welt mit einem speziell für Langstreckenflüge entwickelten Schlotzometer, ob wirklich alle Vitamine zerkocht sind und auch die zahnlosen Fluggäste das Essen ohne Probleme schlürfen können. Wissenschaftler haben untersucht, ob sich das Geschmackempfinden ändert, wenn man in zehn Kilometern Höhe durch die Stratosphäre rast. Tatsächlich bewirken der veränderte Luftdruck und der Turbinenlärm, dass die Geschmacksnerven nur noch eingeschränkt funktionieren. Deshalb werden Flugzeugmahlzeiten mit Gewürzen und Geschmacksverstärkern angereichert. Für Langstreckenflüge haben die Tester Currygerichte als besonders geeignet befunden.

 

Nach zwölfeinhalb Stunden Flug landeten wir in Singapur, wo es nach der dortigen Ortszeit halb fünf nachmittags war. Unser Anschlussflug sollte erst in sieben Stunden gehen. Damit blieb uns genügend Zeit, um eine der kostenlosen Stadtrundfahrten mitzumachen, die Singapur Airlines gemeinsam mit dem Flughafen Changi anbietet. Leider war der Bus bereits ausgebucht, deshalb vertrieben wir uns die Zeit am Flughafen, den Singapur als den komfortabelsten der Welt anpreist. Ob er diesem Anspruch gerecht wird, können wir nicht beurteilen. Auf jeden Fall haben sich die Erbauer große Mühe gegeben, den Passagieren den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu gestalten. In dem riesigen Terminal befinden sich zahlreiche gepolsterte Sitze, Liegen zum Schlafen, Cafés, Restaurants, Bars, Massagesalons, Geschäfte, sogar einen hübschen Schmetterlingsgarten kann man besichtigen, und der Boden ist fast überall mit flauschigem Teppich ausgelegt.

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Der Flughafen Singapur bietet Stadtrundfahrten an

Ein Kängurusprung nach Adelaide

In einem Café nahmen wir zwei Cappuccinos, zwei Croissants und zwei frisch gepresste Smoothies zu uns. Erfrischt und gestärkt ließ Anke sich in einem Massagesalon von einem Singapurer Masseur mit flinken Fingern durchkneten. Martin ging an eine der Konsolen mit Internetzugang. Der Browser brauchte mehrere Minuten, um die Homepage von Spiegel Online aufzubauen. Für das Anzeigen eines Artikels brauchte er genauso lange. Offenbar stammte er noch aus der Zeit, als Bill Gates der unbedarften Welt verkündete, dass kein Mensch mehr als 640 KB brauche. Eine Stunde vor Abflug gingen wir in die Food Street im ersten Stock, wo Garküchen einheimische Spezialitäten anboten. Die Wan-Tan-Suppe schmeckte erschreckend gesund. Die Singapurer haben eine vier Jahre längere Lebenserwartung als die Deutschen. Offenbar nehmen sie dafür ein Leben voll geschmacklicher Entbehrungen in Kauf.

 

Für den Weiterflug nach Adelaide hatten wir auf Beinfreiheit verzichtet. Die sieben Stunden Flugzeit sind ein Kängurusprung im Vergleich zu der Etappe Frankfurt-Singapur. Überhaupt erscheint so ein Flug nach Australien als Spazierfahrt, wenn man ihn mit der Schiffsreise vergleicht, die im Jahr 1788 die ersten britischen Siedler über den Ozean brachte. Die Überfahrt dauerte damals acht Monate, und die in Ketten gelegten Sträflinge wurden im Bauch ausgesonderter Frachtschiffe mit dem Vieh zusammengepfercht. Dicht an dicht mussten sie mit Seekrankheit, Stürmen, Durchfall, Skorbut, Typhus, Syphilis, Läusen, Ratten, Hunger, Durst, Kälte, ranzigem Essen, fauligem Wasser und dem Gestank ungewaschener Körper, gammeliger Zähne und Fäkalien von Menschen, Rindern, Schweinen, Schafen und Hühnern vor sich hinvegetieren. Aufsässige, Diebe, streikende oder Rum trinkende Soldaten und Matrosen wurden ausgepeitscht, zänkischen Weibern wurden die Haare geschoren. Nur der Kapitän, die Offiziere und der Schiffsarzt reisten so luxuriös, wie die damaligen Umstände es zuließen. Die meisten sahen ihre Familien und ihre Heimat nie wieder. Nicht wenige gingen als Leichen von Bord.

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Von Singapur nach Adelaide ist es ein Kängurusprung

Sträflinge, Soldaten und Matrosen gründen die ersten australischen Kolonien

Am 18. Januar 1788 landete Kapitän Arthur Phillip mit der First Fleet in der Botany Bay nahe dem heutigen Sydney. Seine Flotte bestand aus acht Schiffen, einer mehr als fünfhundert Mann starken Besatzung und 756 Strafgefangenen, darunter 192 Frauen. Bis 1850 deportierte das britische Mutterland weitere 162.000 Sträflinge in die Kolonien New South Wales, South Australia und Van Diemen's Land, das heutige Tasmanien. Viele von ihnen waren Handwerker und Farmer, die beim Aufbau wertvolle Arbeit leisteten. Die Obrigkeit begnadigte sie oft und gab ihnen Land für Ackerbau und Viehzucht. Die anderen mussten als Zwangsarbeiter schuften.

In ihrer alten Heimat galten die Deportierten als Schwerverbrecher. Als solcher wurde so ziemlich jeder eingestuft, der den niederen Ständen angehörte und etwas tat, das der Obrigkeit nicht passte. Die meisten hatten sich kleiner Diebstähle schuldig gemacht, die man heute als Mundraub durchgehen lassen würde. Auf Diebstahl stand die Todesstrafe, und die Zahl der Eigentumsdelikte schnellte mit der Industrialisierung in die Höhe. Viele Arbeiter, Handwerker und Arbeitsuchende lebten in den Industriestädten in bitterer Armut. Sie stahlen aus Not, und die Verschiffung nach Australien rettete sie vor dem Strang. Schon der Diebstahl von Seidenstrümpfen, Stoffbändern, Käse oder Mehl wurde mit Deportation bestraft, ebenso die Entwendung oder Zerstörung von Salatgurken. Für Bedienstete von Adeligen reichte es aus, wenn ihre Dienstherren sie des Diebstahls beschuldigten, zum Beispiel weil sich die Magd im Bett zu sehr zierte. Auch die Entwendung eines Briefes konnte mit Deportation bestraft werden, ebenso das Pech, Waisenkind zu sein oder ein schmutziges Gesicht zu haben, denn das konnte die Tarnung für einen Räuber sein. Andere Deportierte waren Seemänner, die gemeutert hatten, weil sie sich für eine Hand voll ranzigem Essen und eine Hungerheuer nicht misshandeln lassen wollten. Weitere waren Soldaten, die desertierten, weil sie die Nase voll davon hatten, einen Krieg nach dem anderen zu führen. Wieder andere machten sich politischer Vergehen schuldig. Die Chartisten zum Beispiel erhoben die ungeheuerliche Forderung, dass alle Parlamentsabgeordneten vom Volk gewählt werden sollten. Auch religiöse Verbrechen, wie heimliches Heiraten oder Katholik zu sein, wurden mit Deportation bestraft. Man kann also sagen, dass die meisten Gründerväter und -mütter Australiens ganz normale Menschen waren, die sich gegen Hunger, Ausbeutung und Unterdrückung wehrten. Sie stammten meist aus den Armenvierteln der Städte und wurden von Adeligen, Großindustriellen und Großgrundbesitzern abfällig als die kriminelle Klasse bezeichnet. Wie viel ehrenwerter war es doch, sich seine Besitztümer durch Krieg, Unterdrückung und Ausbeutung zusammen zu raffen.

 

Mörder und Vergewaltiger wurden nicht nach Australien gelassen. Nur bei genügend Geld und Einfluss machten die Richter Ausnahmen. So sorgten einflussreiche Freimaurer dafür, dass der zum Tode verurteilte Sir Henry Browne Hayes, seines Standes Ritter und ehemaliger Sheriff von Cork, nach Australien auswandern durfte. Er hatte die mit 20.000 Pfund begüterte Quäkerin Mary Pike aus Geldnot entführt und zur Heirat gezwungen. Damit hatte er überschätzt, was sich ein Mann seines Standes herausnehmen durfte. Das Gericht erklärte ihn für vogelfrei, und jeder durfte ihn erschießen. Zwei Jahre lang hielt Hayes sich versteckt. Dann lieferte er sich seinem Frisör und Parfümeur aus, der eine dicke Belohnung dafür kassierte. Wie er selbst war der Parfümeur Freimaurer, und seine einflussreiche Loge rettete Hayes vor dem Strang. Er durfte auf einem schlangenverseuchten Stück Land in Australien sein Dasein fristen, das damals als „the arse end oft he world“ galt. In der Rum Rebellion unterstützte er den Gouverneur von New South Wales, den legendären Tyrannen William Bligh, den die Meuterer auf der Bounty als Kapitän abgesetzt hatten. In der australischen Kolonie verdienten sich Offiziere und Geschäftsleute mit dem Verkauf von Rum eine goldene Nase. Mit der Rebellion wollten sie verhindern, dass Bligh den Handel austrocknete. Die Säuferfraktion gewann zunächst die Oberhand. Sie setzte Bligh ab und verurteilte Hayes zu Zwangsarbeit in den Kohleminen. Doch England setzte einen neuen Gouverneur ein, der die Anführer der Rebellion festnehmen ließ und Hayes begnadigte. Der Kidnapper kehrte zurück nach Irland, wo er den Rest seines Lebens als freier Mann verbringen durfte.

 

Fortsetzung folgt ...


Literatur

 

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