Der Flug: Früher war fast alles schlechter (Teil 2)

21.12.2019

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Besser im Flugzeug als mit einer solchen Nussschale nach Australien

In der Holzkiste nach Sydney

Selbst 1965 gestaltete sich eine Reise nach Australien noch als Abenteuer, wenn auch als ein weit angenehmeres. Damals bot die Lufthansa mit der Boeing 707 ihren ersten Linienflug nach Australien an. Man startete in Frankfurt und flog mit Zwischenstopps in Athen, Karachi, Bangkok, Singapur und Darwin nach Sydney. Der Flug dauerte mehrere Tage und ein Ticket kostete so viel wie das Jahreseinkommen eines Arbeiters. Als der australische Olympiaanwärter im Speerwerfen Reg Spiers 1964 von London nach Adelaide fliegen wollte, brütete er eine verrückte Idee aus. Er ließ sich in einer Holzkiste als Kunststoff-Emulsion verschicken und verbrachte fast drei Tage im Frachtraum. Er dachte, wenn Tiere einen solchen Transport überleben konnten, könne er das auch. Eine Woche vor dem Flug begann er zu fasten, um seine Körperfunktionen zu minimieren und im Frachtraum nichts Großes zu müssen. Die Bedingungen während des Fluges erwiesen sich als erträglich. Nur einmal stieg er aus seiner Kiste, um in eine leere Spaghettidose zu pinkeln. Doch er hätte fast einen Hitzschlag erlitten, als er beim Stopp in Bombay mehrere Stunden auf dem glühend heißen Rollfeld stand. Die ganze Tortur nahm er auf sich, weil er das Weihnachtsfest mit seiner kleinen Tochter in Australien feiern wollte und sich das Flugticket nicht leisten konnte. Für die, die es sich leisten konnten, gab es dagegen Liegesitze mit Beinfreiheit, Zigarren, Fassbier und Steinhäger. Die Fluglinien warben damit, dass man sich von den Stewardessen wie von Muttern verwöhnen lassen könne. Leider hat der Service beiderseits nachgelassen, aber wir wollen nicht meckern.

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Wehrhafte Ureinwohner, Trockenheit, Malaria, Schlangen ... - im 19. Jahrhundert galt Australien als "The Arse End of the World"

Die Vermessung Australiens

Wenn wir nicht schliefen, brachten wir den Flug mit Lesen oder Videogucken herum. Während Anke sich den neuen James Bond ansah, las Martin Die großen Entdecker, ein E-Book von GEO Epoche. Das spannende Buch handelt von Abenteuerexpeditionen vergangener Jahrhunderte. Ein Kapitel ist einem Deutschen gewidmet, der sich mit der Erforschung der australischen Tropen unsterblichen Ruhm erwarb. 

Wie ein ostdeutscher Flüchtling zum Prinzen der australischen Entdecker aufstieg

Der Naturforscher Ludwig Leichhardt wanderte im neunzehnten Jahrhundert aus seiner Heimat Brandenburg nach Australien aus und erwarb sich noch zu Lebzeiten den Ruf, einer der größten Entdecker des Kontinents zu sein. Ortschaften, Straßen, Schulen, Flüsse und Berge wurden nach ihm benannt, die Buschbanane Leichhardtia australis, Leichhardts Sägerochen, Leichhardts Knochenzüngler und Leichhardts Grashüpfer. Sein Bildnis ziert australische Briefmarken und Gedenkmünzen, und im Oktober 2014 benannte die australische Fluggesellschaft Qantas eine Boeing 727 nach ihm, was Bundestagspräsident Norbert Lammert eine nette Dienstreise nach Australien bescherte. “Ludwig Leichhardt could not have imagined that it could be possible to overcome distances in hours where he took months”, sagte er anlässlich der Taufzeremonie.

 

Tatsächlich stellte die Überwindung der riesigen Weiten mit den damaligen Transportmitteln ein Abenteuer für Todesmutige dar. Tausende von Kilometern ausgedörrten Buschlands, Wüste, Eukalyptus-, Akazien- und Mangrovenwälder, zerklüftetes Bergland, Sümpfe und Überschwemmungsgebiete mussten überwunden werden. Hinzu kam die Bedrohung durch feindselige Aborigines, die weiße Eindringlinge immer wieder bekriegten. Viele der europäischen Entdecker, die sich auf dieses Wagnis einließen, verloren ihr Leben dabei, verschwanden auf Nimmerwiedersehen oder ruinierten ihre Gesundheit. Leichhardt ging auf seiner letzten Expedition in den großen Weiten des Kontinents verschollen. Was mit ihm und seiner Mannschaft passierte, gilt bis heute als eines der umstrittensten Rätsel in der australischen Geschichte.

 

Der Brandenburger kam 1813 als Sohn einer Mutter von neun Kindern und eines Torfinspektors im Flecken Sabrodt an der Spree auf die Welt. Er erwarb in Cottbus sein Abitur und studierte in Berlin und Göttingen Philosophie, Religionsgeschichte, Sprachwissenschaften, Naturgeschichte, Botanik, Metaphysik und Physik, alles ohne einen Abschluss zu erwerben. Er brannte vor Wissensdurst und reiste mit einem wohlhabenden Freund nach Italien, Paris und London, studierte naturkundliche Sammlungen und sammelte selbst Kisten voller Steine, Pflanzen und Meerestiere. Sein Vorbild war der berühmte Universalgelehrte und Naturforscher Alexander von Humboldt. Leichhardt hoffte, man würde auch seinen Namen eines Tages „mit Ehren in der großen Unsterblichkeitstafel einschreiben“. Humboldt empfing ihn in Paris zu einer zehnminütigen Audienz. Doch die erhoffte Unterstützung gewährte er ihm nicht.

 

Als das preußische Militär Leichhardt 1842 zum Kriegsdienst einziehen wollte, floh er nach Australien. Ein Schafzüchter lud ihn nach Newcastle an der Ostküste ein, wo er naturkundliche Exkursionen unternahm. Danach erkundete er die Umgebung von Brisbane. Viehzüchter und Missionare nahmen ihn gastfreundlich auf und beherbergten und verpflegten ihn. Zwei Jahre lang streifte er durch die Wildnis am Rand der Zivilisation, dann hielt er sich für einen erfahrenen Buschmann, der selbst in den trockensten Regionen Wasser finden konnte.

Im Oktober 1844 brach er zu seiner ersten großen Expedition auf. Er wollte sich von Jimbour, einem kleinen Außenposten nordwestlich von Brisbane, durch die Tropen zum Militärstützpunkt Port Essington durchschlagen, der nahe dem heutigen Darwin lag. Eine strapaziöse Reise von mehr als 3.000 Kilometern durch unerforschte Wildnis voll unbekannter Gefahren. Leichhardt plante sie in fünf Monaten zurückzulegen. Er verschätzte sich gewaltig.

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Leichhardt unterschätzte die Weiten des Kontinents und die Strapazen der Expedition gewaltig

In der jungen Kronkolonie New South Wales war die öffentliche Meinung über sein Vorhaben gespalten. Die einen sahen in ihm einen ruhmsüchtigen Selbstmörder, und die britische Kolonialregierung weigerte sich, die „Tollheit“ des Deutschen zu unterstützen. Die anderen hielten ihn als buschkundigem Geologen und Naturforscher für fähig, eine derart gewagte Expedition zum Ziel zu führen. Viehzüchter und Geschäftsleute boten ihm Geld und Hilfe an.

 

Die Zeitung The Australian rief zu Spenden auf, und begeisterte Leser stellten weiteres Geld, Proviant und Ausrüstung zur Verfügung. Seine Unterstützer hofften, dass Leichhardt im Landesinnern Weideland und Wasser für neue Siedlungen finden würde. Viele waren überzeugt, dass es im Inneren des Kontinents ein großes Süßwassermeer geben müsse, in das die Flüsse mündeten, die ins Landesinnere strömten. Dieses verheißungsvolle Meer war bereits das Ziel mehrerer Expeditionen gewesen, und tatsächlich hatte es im Zentrum Australiens einst ein Binnenmeer gegeben. Leider kamen die Entdecker 500 Millionen Jahre zu spät.

 

Für die Expedition heuerte Leichhardt neun Männer an, darunter einen Naturforscher, einen Botaniker, einen Sträfling, einen fünfzehnjährigen Iren, einen afroamerikanischen Koch namens Caleb und zwei Fährtensucher der Aborigines, die auf die Namen Charley und Harry hörten. Allein sein Stellvertreter, der Vogelkundler Gilbert, hatte Expeditionserfahrung. Leichhardt hielt sich selbst für wenig durchsetzungsfähig. Deshalb wählte er Männer aus, von denen er glaubte, dass sie sich ihm geduldig unterordnen würden. Eine Fehleinschätzung, wie sich später herausstellen sollte. Gilbert hätte die Expedition lieber selbst geleitet. Er offenbarte einem Freund, wie neidisch er auf den Ausländer sei, der als Erster die verborgenen Schätze Australiens bekannt machen sollte.

 

Als Transport- und Reittiere nahmen die Männer siebzehn Pferde und sechzehn Ochsen und Stiere mit. Letztere sollten auch als Frischfleischvorräte dienen, falls sie nicht genügend Wild erlegen konnten. Für die Jagd besorgten sie sich Hunde, als Proviant 600 kg Mehl, 100 kg Zucker, 40 kg Tee, 40 kg Gelatine und Salz, außerdem Seife, Schießpulver, vier Beutel Schrot und Gewehre. Um im Busch die richtige Richtung einzuschlagen, was damaligen Entdeckern nur mit einiger Unsicherheit möglich war, erwarb Leichhardt einen Sextanten, ein Chronometer, einen tragbaren Kompass, einen künstlichen Horizont und eine fehlerhafte Landkarte des königlichen Kartenmachers Aaron Arrowsmith mit dem vermeintlichen Küstenverlauf.

 

Mit einem feierlichen „God save the Queen“ auf den Lippen brachen die zehn Männer am 1. Oktober 1844 von Jimbour auf. Die schwer beladenen Pferde führten sie an ihren Halftern, die Ochsen an Nasenringen. Mit dem Gesang wollten sie sich Mut machen, denn sie empfanden große Ehrfurcht vor der Wildnis, in der sie ganz auf sich gestellt sein würden. Eine Abfolge von Pleiten, Pech und Pannen sollte ihre Reise ins Unbekannte zu einer Strapaze voller Entbehrungen machen, die nicht alle überlebten.

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Brisbane - zu Leichhardts Zeiten noch keine lebhafte Metropole